Strandflieder oder Die Euphorie des Seins
Szabó – Cuhorka, Fahidi
Eine Überlebende tanzt mit einer jungen Frau die Shoah. Mit der sechzig Jahre jüngeren Tänzerin Emese Cuhorka begibt Éva Fahidi sich in einen Dialog, in dem sie Fragen beantwortet und stellt, von sich erzählt, aber eben auch tanzt. Das geht von Aufwärmübungen bis zu Choreographien aus der musikalischen Moderne, die Éva Fahidi umgab, als sie aufwuchs.
Mal lässt sie sich herumwirbeln, mal durchstreift sie selbst den Raum, mit der Freiheit und Euphorie eines Mädchens, das in ihrer Kindheitsstadt Debrecen den Duft des lila Strandflieders schmeckt, der in der ostungarischen Landschaft überall wuchert. Das war bevor Éva Fahidi nach Auschwitz-Birkenau deportiert wurde, wo sie als einziges Familienmitglied überlebte. Das Stück entwickelte die Choreographin Réka Szabó zusammen mit den beiden Darstellerinnen, auch der Text entstand in einem gemeinsamen Prozess.
Éva Fahidi hatte noch nie als Tänzerin auf einer Bühne gestanden, bevor sie die Einladung der modernen Tanzcompagnie The Symptoms annahm, zu einem „Duett über mein Leben und meinen Holocaust“. Sie hat bis vor wenigen Jahren auch mit noch niemandem über Auschwitz gesprochen – bis sie wieder hinfuhr, auf den Tag genau 59 Jahre nachdem sie auf der Rampe von ihrer Schwester und Mutter getrennt wurde und diese nie mehr wieder sehen sollte. In einer Reportage der Süddeutschen Zeitung sagt Éva Fahidi, sie habe sich all die Jahrzehnte zum Leben verdammt gefühlt. Jetzt wisse sie: Kein Leben ist lang genug, um jemals zu vergessen. Aber es kann lang genug sein, um zu lernen, damit zu leben. „Es hat sich gelohnt, 90 Jahre alt zu werden.“
Seit der Uraufführung 2015 am Theater Vígsínház Budapest ist erneut Zeit vergangen. Fünf Jahre (bis kurz vor dem ersten Corona-Lockdown) wurde das Stück regelmäßig und ausverkauft gespielt. In einer teilweise gedolmetschten, teilweise von Éva Fahidi selbst auf Deutsch gesprochenen Version konnte die Aufführung auf Gastspielen im deutschsprachigen Raum gezeigt werden, in Berlin, Erfurt und Wien. Zeitgleich entstand abermals in der Regie von Réka Szabó ein Dokumentarfilm, der 2019 fertiggestellt und beim Filmfestival Locarno uraufgeführt wurde. Der Film The Euphoria of Being wurde seither auf zahlreichen internationalen Festivals gezeigt und vielfach ausgezeichnet (siehe Rubrik Medien).